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Datum: 06.07.2015

Gratwanderung zwischen Ästhetik und Politik

Braucht die Handtasche aus Velourleder einen Pelzmantel? Ist es en vogue einen Schlüsselanhänger mit einer gebrochenen Tierschwanztrophäe mit sich zu führen? Sind wir uns der Herkunft der tierischen Produkte, die wir am Körper tragen, bewusst? Was wissen wir über Zucht, Behandlung und die Art der Tötung von Tieren, deren Haut wir uns aneignen und zur Schau stellen? Macht mich die Nerzjacke schöner und begehrenswerter? Dies sind Fragen, die sich die Brakeler Textilkünstlerin Astrid Strathausen stellt.

Beim Kunstwerk des Monats Juli zeigt sie den Gegenentwurf einer Fellstola aus Fake Fur mit Animalprint. Die Verfremdung der Formensprache der Haute Couture und ihrer Analogien er-folgt in mehrfacher Weise: durch Verwertung des Restmaterials beim Zuschnitt und dessen Veredeln . Das im normalen Produktionsprozess Ungenutzte, der Ausschuss wird dem Verwertungsprozess wieder zugeführt und aufgewertet. Das nennt man Upcycling. Die asymmetrische Form und die ausgefransten Ränder werden verstärkt durch Applikationen von der Natur nachempfundenen Körpergliedern eines Tieres wie Pfoten, Schwanz oder Kopf. Die Verwendung des Materials, Kunstfell aus einer Baumwoll/Synthetikmischung in beigegrau mit dunkelbraunen Flecken, stellt eine tierische Fellzeichnung dar, die, wenn auch nicht naturgetreu, doch einen animalischen Eindruck hervorruft.

Das Stück ist nicht nur Kunstobjekt mit politischer Aussage, sondern auch funktional. Es kann als Fellstola getragen werden. Dann ist es auch Schmuckstück und Provokation gleichermaßen und reizt ob seines animalischen Aussehens zur Auseinandersetzung mit dem Artenschutz.

Die Kunst-Fellstola deutet auf die Zerrissenheit und Qual des Tierkörpers, der in der industriellen Massenproduktion von der Zeugung über die Aufzucht in konzentrationsähnlichen Lagern bis hin zur Vergasung in Metalltrommeln - abgeschirmt von der Öffentlichkeit - menschlicher Misshandlung ausgesetzt ist.

Dies steht in einem Spannungsdialog mit den idyllischen Motiven des Seidentuchs, das die Vielfalt der heimischen Fauna romantisiert. Seide ist eine tierische Faser, die gewonnen wird, indem die Seidenraupen mit ihrem Kokon in kochendes Wasser geworfen und qualvoll getötet werden.

Die Künstlerin balanciert nicht nur gekonnt zwischen Ästhetik und Politik, mit Witz und Selbstironie bearbeitet sie Fundstücke, nimmt oder gibt ihnen Funktion, kombiniert sie Einzelnes so rasant und erschafft mit ein paar Nähstichen etwas Neues. So entstaubt und umgewidmet entstehen ästhetische Objekte, die, wenn sie sich bewegen, zum Staunen und zur Auseinandersetzung reizen.